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  • Dr. Carl Henning Lubba

Doppelpatentierung und Doppelschutz im einheitlichen Patentsystem

Die Vorteile des „deutsch-europäischen Tandems“

Das europäische Einheitspatent bietet Chancen und Risiken zugleich. Aber sich rückhaltlos auf ein noch unerprobtes System einlassen? Hiervor schrecken viele Unternehmen verständlicherweise zurück. Angesichts der Gefahr einer „zentralen Vernichtung“ eines Einheitspatents treibt viele auch die Frage um, welche unabhängigen Schutzrechte geeignet sind, um dieses zu flankieren.

Eine Möglichkeit, das neue System zu nutzen und kennenzulernen ohne ein bewährtes aufzugeben, liegt in der Verzweigung einer anhängigen europäischen Patentanmeldung in eine Stammanmeldung mit Opt-Out und einer Teilanmeldung ohne Opt-Out. Während die eine Anmeldung also als das klassische europäische Bündelpatent bestehen bleibt, sticht die andere in das noch ungewisse Fahrwasser des Einheitspatents. Die Sache hat jedoch einen Haken: Denn die zweifache Anmeldung ein und desselben Patents ist im Verfahren vor dem EPA nach Art. 125 EPÜ unter dem Stichwort Doppelpatentierung verboten. Dies bestätigte erst jüngst die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in ihrer Entscheidung G4/19. Die Entscheidung (hier ausführlich kommentiert) markiert das Ende eines langen Ringens der Beschwerdekammern des EPA um die rechtliche Grundlage eines Doppelpatentierungsverbotes im Europäischen Patentübereinkommen. Zwei identische europäische Patentanmeldungen können folglich nicht als Bündelpatent einerseits und als Einheitspatent andererseits zur Erteilung gebracht werden. Zwar reicht bereits eine marginale (T 1491/06, T 1423/07, G2/10) Verschiedenheit der beiden Anmeldungen, um den Einwand der Doppelpatentierung auszuräumen. Da jedoch jede noch so kleine Änderung einer Patentanmeldung, insbesondere des Anspruchswortlauts, mit Risiken verbunden ist, sind zwei parallele europäische Anmeldungen für den Zweck einer zweigleisigen Anmeldestrategie nicht ohne Vorbehalt empfehlenswert.

Hohe Attraktivität der deutschen Gerichtsbarkeit

Doch was genau würde durch den Fortbestand eines parallelen europäischen Bündelpatents, zusätzlich zu einem Einheitspatent, bewahrt werden? Sein wohl größter Vorteil liegt im Zugang zu den bewährten nationalen Gerichten in Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren. Während dem Einheitsgericht angesichts seiner mangelnden Erfahrung noch von mancher Seite Skepsis entgegenschlägt, sind die nationalen Gerichte seit Jahrzehnten das verlässliche Rückgrat für die Durchsetzung europäischer Patente. Hier ist allerdings keinesfalls der Zugang zu irgendeiner oder gar zu allen der potenziell 38 nationalen Gerichtsbarkeiten des europäischen Bündelpatents gefragt. Im Gegenteil wurden in der jüngeren Vergangenheit die weitaus meisten europäischen Patentstreitigkeiten vor den Gerichten eines einzigen Landes verhandelt – Deutschlands [1]. Aus gutem Grund, denn Verfahren vor den deutschen Gerichten sind vergleichsweise günstig, rechtssicher und nicht zuletzt wegen der realistischen Chance auf einen tatsächlich durchsetzbaren Unterlassungsanspruch für Anmelder überaus attraktiv. Eine Entscheidung mit Wirkung für Deutschland hat darüber hinaus eine bedeutende wirtschaftliche Schlagkraft. Die mit einem parallelen europäischen Bündelpatent (zusätzlich zum Einheitspatent) erhaltenen Vorteile, allen voran die Rechtssicherheit in Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren, fußen daher zu großen Teilen auf dem Zugang zu den deutschen Gerichten.

Umfassender territorialer Schutz und bewährte Rechtssicherheit

Dieser Zugang ist jedoch nicht nur über den deutschen Teil eines europäischen Bündelpatents zu erreichen, sondern – selbstverständlich – auch mittels eines direkt vom nationalen Amt erteilten deutschen Patents. So zeigt sich beim Blick auf das Zusammenspiel zwischen einem Einheitspatent und einem nationalen deutschen Patent, dass beide einander reibungslos ergänzen. Denn ein Doppelpatentierungsverbot zwischen deutschem Patent und Einheitspatent existiert nicht – anders als zwischen Einheits- und Bündelpatent. Die identische Anmeldung kann demnach auf beiden Wegen zur Erteilung gebracht werden. Darüber hinaus besteht durch die neue Fassung des IntPatÜG Art. II § 8 ([2]) – anders als zwischen deutschem Patent und europäischen Bündelpatent – auch kein Doppelschutzverbot zwischen deutschem Patent und Einheitspatent. Letzteres entfaltet keine Sperrwirkung für die Durchsetzbarkeit eines deutschen Patents mit teilidentischem Schutzbereich, was bei zwei getrennten Gerichtssystemen (einheitliches Patentgericht und die ordentlichen deutschen Gerichte) auch nur folgerichtig ist.

Das „deutsch-europäische Tandem“ aus deutschem Patent und europäischem Einheitspatent eröffnet Anmeldern folglich die nie dagewesene Möglichkeit einer Doppelpatentierung und eines Doppelschutzes ein und desselben Gegenstands an Europas zentralem Standort für Patentstreitsachen. Anmelder erlangen schon früh den umfassenden territorialen Schutz des neuen Einheitspatents, müssen dank des flankierenden deutschen Patents aber nicht auf die vom europäischen Bündelpatent gewohnte Rechtssicherheit im Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren verzichten. Beachten sollten Anmelder aber selbstverständlich die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem europäischen Erteilungsverfahren und den jeweils geeigneten Entwürfen der Anmeldung. Hier ist entsprechende Erfahrung in beiden Systemen gefragt.

[1]    In den Jahren 2000 – 2008 wurden ca. 80% der Verletzungsstreitigkeiten um sowohl nationale Patente als auch nationalisierte Bündelpatente der relevantesten europäischen Standorte für Patentstreitigkeiten (DE, NL, FR und GB) vor den ordentlichen Gerichten Deutschlands verhandelt.
(Katrin Cremers et al., Patent litigation in Europe, Eur J Law Econ (2017) 44:1–44; Table 3)

[2]    BGBl. 2021 Teil I Nr. 59, S. 3914

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