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  • Matthias Rottmann

Weiterentwicklung in der Rechtsprechung: Übertragung des Prioritätsrechts und Veröffentlichungstag von Dokumenten

BGH-Urteil „Drahtloses Kommunikationsnetz“

Woran bemisst sich bei einer von einem Arbeitnehmer getätigten Erfindung die wirksame Übertragung des Prioritätsrechts aus einer Patentanmeldung auf den Arbeitgeber? Und: Gehört ein Dokument, das in einer bestimmten Zeitzone noch am Tag vor dem Prioritätstag veröffentlicht wurde, zum Stand der Technik? Diesen Fragen hat sich der BGH in seinem Urteil „Drahtloses Kommunikationsnetz“ (X ZR 14/17) vom 4. September 2018 gewidmet. Dabei galt es übergeordnet zu beurteilen, welche Dokumente überhaupt den Stand der Technik für ein in einem Nichtigkeitsverfahren angegriffenes Streitpatent bildeten. Mit seiner Entscheidung hat der BGH die bisherige Rechtsprechung um wichtige Punkte ergänzt, an denen sich Anmelder in Zukunft orientieren können.
 

Übertragung des Prioritätsrechts bei Arbeitnehmererfindungen

Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die deutsche Tochterfirma eines schwedischen Telekommunikationsanbieters eine Erfindung als Arbeitnehmererfindung beansprucht. Der in Deutschland angestellte Erfinder, auf dessen Namen bereits eine prioritätsbegründende Patentanmeldung für diese Erfindung in den USA eingereicht worden war, hatte dem Unternehmen hierzu per E-Mail lediglich die US-Anmeldenummer mitgeteilt. Anschließend wurden die Rechte an der in Anspruch genommenen Erfindung an die Konzernmutter in Schweden übertragen. Der BGH sieht hierin einen rechtsgeschäftlichen Übergang des Prioritätsrechts vom Erfinder auf das deutsche Tochterunternehmen. Die Richter stellten dabei auf die beidseitigen Interessenslagen ab, die sich aus dem deutschen Arbeitnehmererfinderrecht ergeben. Demnach ist, so der BGH, auch die bloße Informationsmitteilung über die US-Anmeldenummer als Angebot des Erfinders zu werten, das Prioritätsrecht per Rechtsgeschäft zu übertragen. Mit der Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber sei dieses Angebot auch angenommen worden.

Für die internationale Übertragbarkeit von Prioritätsrechten formulierte der BGH die beiden folgenden Leitsätze:

1) Die Wirksamkeit der Überleitung der Rechte an einer Erfindung durch Inanspruchnahme als Diensterfindung durch den Arbeitgeber richtet sich nach dem Arbeitsstatut.

2) Welche Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sich aus einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung über die Übertragung eines Prioritätsrechts ergeben, ist nicht nach dem für die Erstanmeldung maßgeblichen Recht zu beurteilen, sondern nach dem Vertragsstatut. Wird die Vereinbarung zwischen dem Diensterfinder und seinem Arbeitgeber getroffen, entspricht das Vertragsstatut regelmäßig dem Arbeitsstatut.

Mit seinem Urteil konkretisiert der BGH die bisherige Rechtsprechung: Bislang war stets pauschal auf das Recht des Staates der Erstanmeldung abzuzielen (vgl. BGH, X ZR 49/12, Fahrzeugscheibe). Durch die beiden neuen Leitsätze ist im vorliegenden Fall das deutsche Arbeitnehmererfinderrecht überhaupt erst anwendbar. Aus ihm leitet sich die Interessenslage beider Parteien ab, mit der der BGH die rechtsgeschäftliche Übertragung des Prioritätsrechts begründet. Die Hürden für eine solche Übertragung haben die Richter relativ niedrig gesetzt, indem sie die reine Informationsmitteilung als Willenserklärung (Angebot) werteten. Aber: Genügt schon allein die Inanspruchnahme einer Arbeitnehmererfindung (ohne dass, wie in diesem Fall, die Anmeldenummer mitgeteilt wird), damit es zu einem Übergang des Prioritätsrechts kommt? Diese Frage bleibt weiterhin offen. Um rechtlich sicherzugehen, sollten Unternehmen daher das Prioritätsrecht, speziell an einer US-Voranmeldung, stets durch ein eigenes nachweisbares Rechtsgeschäft auf sich übertragen lassen.
 

Zeitzone bei der Ermittlung des Veröffentlichungstags

Das Dokument zum Stand der Technik (SdT-Dokument) wurde am Prioritätstag um 8:36 Uhr Ortszeit aus Europa auf einen europäischen Webserver hochgeladen. In den Zeitzonen UTC-9 (Alaska) bzw. UTC-10 (Hawaii) war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch 22:36 Uhr bzw. 21:36 Uhr des Vortages. Das neuheitsschädliche Dokument war dort also noch vor dem Prioritätstag zugänglich. Aus Sicht der Klägerin handelte es sich daher um vorveröffentlichten Stand der Technik, der zu berücksichtigen sei. Der BGH wies das jedoch das zurück – mit folgendem Leitsatz als Begründung:

3) Eine technische Lehre, die der Öffentlichkeit dadurch zugänglich gemacht wird, dass sie auf einen Webserver hochgeladen und über das Internet allgemein oder einem Teil der Fachöffentlichkeit weltweit verfügbar gemacht wird, bildet nicht bereits dann Stand der Technik, wenn zum Zeitpunkt des Hochladens in einer anderen Zeitzone als derjenigen des Ortes des Hochladens der Prioritäts- oder Anmeldetag noch nicht angebrochen war.

Bei der Ermittlung des Veröffentlichungstags eines SdT-Dokuments sei es, dem BGH zufolge, einerseits zulässig, auf die Zeitzone abzustellen, in der sich das Amt der Patent- bzw. Prioritätsanmeldung befindet (hier: die Zeitzone UTC-5 aufgrund des Hauptsitzes des US-amerikanischen Patent- und Markenamts USPTO in Alexandria, Virginia). Andererseits sei es auch zulässig, die Zeitzone der Veröffentlichungshandlung heranzuziehen (hier: die Zeitzone UTC+1 in Europa). Zwischen diesen beiden Varianten hat sich der BGH nicht festgelegt. Mit seinem 3. Leitsatz hat er lediglich die künstliche Ausweitung auf alle möglichen Zeitzonen für unzulässig erklärt. Für Anmelder bedeutet das, dass bis auf weiteres nach wie vor nur das Datum eines SdT-Dokuments relevant ist. Nachforschungen zur Uhrzeit der Veröffentlichung sind nicht notwendig.

 

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