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Videosignalcodierung I (LG Düsseldorf)

LG Düsseldorf, Urteil vom 30.11.2006 - 4b O 508/05

Normenketten: § 9 S 2 Nr 3 PatG, § 139 PatG, § 141 PatG, § 138 Abs 4 ZPO, Art 82 EG, § 19 GWB, § 20 GWB, § 242 BGB, § 16 Abs 1 AktG, § 17 Abs 2 AktG

Leitsätze:

1. Wenn ein Industrie-Standard in der Praxis in seiner gesamten Breite angewandt wird, so ist grundsätzlich auch der Standard mit seinem gesamten Inhalt (einschließlich solcher Verhaltensoptionen, die nur unter besonderen Anwendungsbedingungen oder nur als eine vor mehreren Alternativen vorgesehen sind) Grundlage der Beurteilung, in welcher technischen Weise bei der Einhaltung des Standards verfahren wird.

2. Sofern daher feststeht, dass ein Benutzer den Standard beachtet ist im weiteren gesichert, dass eine mögliche dem Standard entsprechende Vorgehensweise eine wortsinngemäße oder äquivalente Benutzung des Klagepatents darstellt. Es ist dann eine Patentverletzung anzunehmen, wenn der Umfang der Geschäftstätigkeit des Beklagten oder sonstige von dem klagenden Patentinhaber darzulegende Umstände den sicheren Schluss zulassen, dass die Vorgaben des Standards bei Ausübung der Geschäftstätigkeit in ihrer gesamten Breite ausgeschöpft wurden.

3. Es ist dann Sache des Beklagten, konkret dazu vorzutragen, dass und weshalb er bei der Befolgung des Standards die zur Merkmalsverwirklichung führende Option keinesfalls angewandt hat.

4. Sofern der Beklagte das patentgeschützte Verfahren nicht selbst ausübt, sondern auf eine von einem Dritten geleistete Vorarbeit zurückgreift, kann er den Verletzungstatbestand nicht mit Nichtwissen bestreiten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Dritte unter seiner Verantwortung tätig geworden ist.

5. Eine derartige Situation ist anzunehmen, wenn der Beklagte Mehrheitsgesellschafter des Dritten ist, denn dann ist zwischen beiden gemäß §§ 17 Abs. 2, 16 Abs. 1 AktG ein Beherrschungsverhältnis zu vermuten.

6. Stellt ein Patentanspruch ein Codierverfahren zum Codieren und Decodieren eines digitalen Videosignals unter Schutz, das dazu verwendet wird Spielfilme auf Video-DVDs zu übertragen, umfasst der Patenanspruch auch die Herstellung von DVDs mit dem - aktuellen - MPEG 2-Standard. Ein unmittelbares Verfahrenserzeugnis i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG, für das Schutz reklamiert werden kann, besteht in den mittels des klagepatentgemäßen Verfahrens erzeugten Informations- und Aufzeichnungsstrukturen, die auf einem Aufzeichnungsträger (hier: den DLT-Tapes, DVD-R's, Mastern und Stampern) vorhanden sind. Allesamt sind körperliche Erzeugnisse im Sinne der Bestimmung. Bei den erfindungsgemäßen Informations- bzw. Aufzeichnungsstrukturen handelt es ich um Speicherkapazitäten beanspruchende Informationseinheiten, die auf dem jeweiligen Speichermedium körperlich durch Speichereinheiten festgehalten werden und - nur - infolge des Speicherplatzes existieren.

7. Im Patentverletzungsstreit kann der Einwand erhoben werden, der klagende Patentinhaber sei dem Beklagten aus kartellrechtlichen Gründen zur Einräumung einer Zwangslizenz am Patentgegenstand verpflichtet.

8. Wenn der Patentinhaber zu den Bedingungen eines Standardvertrages bereit ist, dem Beklagten eine Lizenz zu gewähren, stellt sich unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten allein die Frage, ob seine Lizenzierungspraxis diskriminierend ist (weil Lizenzsucher ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden) oder ob unangemessene Lizenzgebühren verlangt werden (sog. Ausbeutungsmissbrauch). Die von dem EuGH in seiner Entscheidung IMS/Health (vergleiche EuGH, 29. April 2004, C-418/01, GRUR 2004, 524) erörterten Fragen, die sich vordringlich aus den europäischen Kartellvorschriften, insbesondere Art. 82 EG ergeben, sind dann ohne Belang.

9. Als kartellrechtswidrig kann nicht beanstandet werden, dass ein gebündeltes Lizenzangebot aller an einem Industrie-Standard beteiligten Schutzrechtsinhaber gemacht wird. Dies vermag im Gegenteil dem wohlverstandenen Interesse etwaiger Lizenzsucher dienen, dass ihnen eine Benutzungserlaubnis für den gesamten Standard aus einer Hand zu einheitlichen Konditionen angeboten wird, denn damit werden sie von der Verpflichtung befreit, bei jedem einzelnen Schutzrechtsinhaber um eine Lizenz für dessen Patente nachzusuchen.

10. Ein Missbrauchsvorwurf gegen den oder die Schutzrechtsinhaber lässt sich nicht mit dem Umstand begründen, dass über die Standardsetzung und die "Bestückung" des Standard-Lizenzvertrages mit Schutzrechten nicht gänzlich unbeteiligte Sachverständige entschieden haben. Ebensowenig ist zu beanstanden, dass in Einzelfällen statt der in den Standard aufgenommenen patentierten eine technisch gleichwertige, patentfreie Ausweichtechnik zur Verfügung gestanden hätte oder sich einzelne Schutzrechte des Standards (z.B. aufgrund einer Nichtigkeitsklage des Beklagten) nicht als rechtsbeständig erweisen könnten.

11. Ein derartiges Vorgehen kann erst dann als kartellrechtsrelevant angesehen werden, wenn es systematisch die Absicht erkennen lässt, unangemessen hohe Lizenzgebühren fordern zu können.

12. Wenn der Standard-Lizenzvertrag Schutzrechte berücksichtigt, die durch den technischen Standard nicht gestützt werden, kann ein darin liegender Kartellrechtsverstoß dem Beklagten im Patentverletzungsstreit nur dann zugute kommen, wenn er von den über den Standard hinausgehenden Lizenzschutzrechten keinen Gebrauch macht. Dementsprechend zählt zu einem erheblichen Verteidigungsvorbringen nicht nur die Behauptung, bestimmte Lizenzschutzrechte lägen außerhalb des Standards; es muss auch vorgetragen werden, dass von ihnen kein Gebrauch gemacht wird.

13. Kartellrechtlich ist eine Stücklizenzgebühr auch dann nicht zu beanstanden, wenn es sich bei dem Lizenzgegenstand um ein Massenprodukt handelt. Eine derart berechnete Lizenzgebühr bedeutet für jeden Lizenznehmer denselben Kostenfaktor und sichert damit die Gleichbehandlung.

14. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung einer Standard-Lizenzgebühr ist auch zu beachten, dass die am lizenzierten Patent-Pool beteiligten Schutzrechtsinhaber nicht nur eine Amortisation ihrer Entwicklungskosten. sondern auch eine angemessene finanzielle Belohnung für ihre Innovationsleistung beanspruchen können müssen.

15. Ein kartellrechtswidrige Ungleichbehandlung ist aber anzunehmen, wenn der marktbeherrschende Schutzrechtsinhaber einzelnen Lizenzsuchern vertragliche Vorzugskonditionen gewährt, die er anderen verweigert. Weiter ist es zu beanstanden, wenn er seine Verbietungsrechte aus dem Patent selektiv durchsetzt, indem er nur gegen einzelne Wettbewerber gerichtlich vorgeht, um ihnen einen Standard-Lizenzvertrag aufzuzwingen. Eine derartige Prozessstrategie bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als dass einem Teil der Wettbewerber unentgeltliche, einem anderen Teil nur entgeltliche Lizenzen gewährt werden.

16. Jedoch rechtfertigt nicht allein die über einen gewissen Zeitraum hin unterlassene Verletzungsklage den Vorwurf einer Diskriminierung. Ein "Missbrauch" hat zur Voraussetzung, dass es sich bei dem verschonten Konkurrenten um einen dem Schutzrechtsinhaber bekannten oder nur infolge einer Verletzung der Marktbeobachtungspflicht unbekannten Verletzer handelt, gegen den dem Patentinhaber in Vorgehen zumutbar ist. Maßgeblich sind insofern die gesamten Umstände, wie z.B. der Umfang der Benutzungshandlungen und die Rechtsschutzmöglichkeiten im Verfolgungsland. Die Zumutbarkeitsschwelle ist aber im Interesse der kartellrechtlich gebotenen Gleichbehandlung nicht zu hoch anzusetzen.

17. Wenn eine ausschließlich mit der Lizenzvergabe an Schutzrechten eines Patent-Pools betraute Agentur Kenntnis von Verletzungshandlungen eines Dritten hat, wird dadurch die Verjährungsfrist des § 141 PatG nicht in Lauf gesetzt.

LG Düsseldorf, Urteil vom 30.11.2006 - 4b O 508/05

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