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  • Dr. Frederik Tenholt

Keine Sonderregeln für Computersimulationen (G 1/19 „Simulationen“)

Im digitalen Zeitalter sind Software-Lösungen, Algorithmen und computerimplementierte Simulationen eine Selbstverständlichkeit – und beschäftigen längst auch die juristische Fachwelt:

Am 15. Juli 2020 war der Fall G 1/19 zur Patentierbarkeit computerimplementierter Simulationen vor der Großen Beschwerdekammer (GBK) des Europäischen Patentamts (EPA) verhandelt worden. Einige Monate später, am 10. März 2021, veröffentlichte das EPA die lang erwartete Entscheidung.

In der vorangegangen Zwischenentscheidung T 489/14 ging es unter anderem um die Frage, ob die ursprünglich zuständige Prüfungsabteilung die betreffende europäische Patentanmeldung („Simulation der Bewegung von autonomen Entitäten durch eine Umgebung“) zu Recht aufgrund vermeintlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen hatte. Die Kammer im Fall der T 489/14 hatte daraufhin der GBK die folgenden Fragen vorgelegt:

1) Kann – bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit – die computerimplementierte Simulation eines technischen Systems oder Verfahrens durch Erzeugung einer technischen Wirkung, die über die Implementierung der Simulation auf einem Computer hinausgeht, eine technische Aufgabe lösen, wenn die computerimplementierte Simulation als solche beansprucht wird?

2) Wenn die erste Frage bejaht wird, welches sind die maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung, ob eine computerimplementierte Simulation, die als solche beansprucht wird, eine technische Aufgabe löst? Ist es insbesondere eine hinreichende Bedingung, dass die Simulation zumindest teilweise auf technische Prinzipien gestützt wird, die dem simulierten System oder Verfahren zugrunde liegen?

3) Wie lauten die Antworten auf die erste und die zweite Frage, wenn die computerimplementierte Simulation als Teil eines Entwurfsverfahrens beansprucht wird, insbesondere für die Überprüfung eines Entwurfs?

Die zentrale Frage der G 1/19 lautete also: Kann eine Simulation, die als solche beansprucht wird, eine technische Aufgabe lösen? Und falls ja, nach welchen Kriterien ist dies zu beurteilen?


Patentierbarkeit nicht grundsätzlich verneint

Bezüglich Frage 1 stellte die GBK einerseits fest, dass computerimplementierte Simulationen als Untermenge der computerimplementierten Erfindungen (nachfolgend „CII“: computer implemented inventions) nicht a priori vom Patentschutz ausgeschlossen werden können und dass allein aus diesem Grund Frage 1 zu bejahen sei. Andererseits sei infolgedessen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit aber auch bei Simulationen anhand des für CII bewährten Comvik-Ansatzes zu beurteilen. Dieser konkretisiert insbesondere die Anwendung des bekannten Aufgabe-Lösungs-Ansatzes auf Mischerfindungen aus technischen und nichttechnischen Merkmalen (vgl. EPA „Richtlinien für die Prüfung“, G-VII, 5.4).


Wann löst eine Simulation eine technische Aufgabe?

Während die GBK den ersten Teil von Frage 2 als zu weitgehend ansah – mit der Begründung, es sei niemals möglich eine vollständige Liste maßgeblicher Kriterien anzugeben – und daher als unzulässig erachtete, ging sie dennoch auf einige in vorigen Entscheidungen diskutierte Kriterien ein. So sei eine „direkte Verbindung zur physischen Realität“ aus Sicht der GBK zwar in vielen Fällen hinreichend, um das Vorliegen einer technischen Lösung für eine technische Aufgabe zu bejahen, notwendig könne eine solche direkte Verbindung hierfür aber nicht sein. Auch trage ein auf einer (physisch) „greifbaren Wirkung“ beruhendes Kriterium nicht zu einer genaueren Abgrenzung patentierbarer Erfindungen bei.

Die Frage, ob es eine hinreichende Bedingung sei, dass die Simulation zumindest teilweise auf technische Prinzipien gestützt wird, die dem simulierten System oder Verfahren zugrunde liegen (zweiter Teil von Frage 2), verneinte die GBK. Insbesondere sei – für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit – der Fachmann auf dem technischen Gebiet des besagten simulierten Systems oder Verfahrens regelmäßig weniger relevant als der Fachmann für die Simulation selbst. Außerdem würde eine Bejahung Simulationen gegenüber CII im Allgemeinen privilegieren – ohne dass es eine rechtliche Grundlage hierfür gebe. Eine Stützung der Simulation auf technische Prinzipien des simulierten Systems oder Verfahrens sei andererseits aber auch keine notwendige Bedingung für das Lösen einer technischen Aufgabe.

Des Weiteren sah die GBK keinen Bedarf für die Anwendung spezieller Regeln auf Simulationen, die als Teil eines Entwurfsverfahrens beansprucht werden (Frage 3), sodass die beiden ersten Fragen in diesen Fällen unverändert zu beantworten seien.

Zusammenfassen lassen sich die Antworten der GBK somit unter der Überschrift: Keine Sonderregeln für Computersimulationen – mit dem Zusatz, dass auch auf Entwurfsverfahren, die Computersimulationen beinhalten, wiederum keine Sonderregeln anzuwenden sind. Hervorzuheben ist insbesondere der Verweis der GBK auf die Anwendbarkeit des Comvik-Ansatzes auch auf Simulationen, aber auch die Ablehnung weiterer, möglicherweise strengerer, Kriterien speziell für Simulationen. Die Patentierbarkeit computerimplementierter Simulationen bleibt somit auch weiterhin eine Frage, die sorgfältig abgewogen und von Fall zu Fall entschieden werden muss.

 

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