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  • Gottfried Schüll, Dr. Arwed Burrichter, Dr. Natalie Kirchhofer

Neuer Gesetzentwurf in Deutschland zur Ratifizierung des Einheitlichen Patentgerichts

Bundesjustizministerium hält trotz verfassungsrechtlicher Bedenken und Brexit am Einheitlichen Patentgericht fest

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Gesetz zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ-ZustG) in seiner am 20. März 2020 veröffentlichten Entscheidung (2 BvR 739/17) aus formellen Gründen für nichtig erklärt (vgl. C&F-Pressemitteilung). Grundlage der Entscheidung  war die fehlende erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit durch den Bundestag. Es erfolgte weder eine Feststellung der Beschlussfähigkeit noch eine Feststellung des Bundestagspräsidenten, dass das Zustimmungsgesetz mit qualifizierter Mehrheit beschlossen worden sei. Durch diesen formellen Mangel fehlte die Voraussetzung für die Ratifikation des Übereinkommens vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ).

Das EPGÜ sieht ein Einheitliches Patentgericht (EPG) für mehrere EU-Mitgliedstaaten vor, das sich eigenständig mit Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung befasst. (Letztere werden mit Schaffung des EPG eingeführt.) Hierzu zählen insbesondere Klagen wegen Patentverletzung, Streitigkeiten über den Bestand von Patenten und Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts. Das EPG soll die bisher zuständigen Patentkammern bzw. Patentsenate bei den Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof sowie dem Bundespatentgericht vollständig ersetzen.

Das Übereinkommen ist zwischenzeitlich von 16 Unterzeichnerstaaten ratifiziert worden, darunter Frankreich und Großbritannien. Für sein Inkrafttreten ist lediglich noch die Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland erforderlich.

Kritische Stimmen zum EPG

Das EPG wird inzwischen weitgehend infrage gestellt. Laut einer Juve-Umfrage unter mehr als 600 Patentexperten von April 2020 lehnen es 55,3 % ab. Nur noch 33,6 % der Befragten befürworten es. Noch deutlicher ist das Ergebnis unter den befragten Anwälten und Richtern: 56,5 % bzw. 59,4 % der befragten Patent- bzw. Rechtsanwälte und über 71,4 % der Richter befürworten das EPG nicht mehr. Auch die Industrie äußert sich eher skeptisch: 43,5 % der Unternehmensvertreter gaben an, dass sie das gegenwärtige EPG nicht mehr unterstützen.

Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) sehen laut Juve einen negativen Einfluss durch das EPG. „Ursache sind vor allem die erhöhten Kosten, insbesondere die hohen Prozesskosten“, so Dr. Natalie Kirchhofer, Patentanwältin und Partnerin von COHAUSZ & FLORACK. „Gerade für innovative KMUs spielen diese um ein Vielfaches höheren Kosten, die bei der Durchsetzung der eigenen Erfindungen vor dem EPG anfallen, eine wichtige Rolle für ihre Wettbewerbsfähigkeit.“ Gottfried Schüll, Patentanwalt und Partner von COHAUSZ & FLORACK, sieht zudem die fehlende Zuständigkeit der nationalen Patentverletzungsgerichte für erteilte EP-Patente, die mit dem EPG einhergeht, kritisch: „Damit werden die auf kostengünstigen Rechtsschutz angewiesenen Patentinhaber auf nationale deutsche Patente verwiesen. Das europäische Patentrecht wird zum Recht für Konzerne. Dem Mittelstand, der Stütze der deutschen Wettbewerbsfähigkeit, kommen die Vorteile der europäischen Vereinheitlichung des Patentschutzes nicht zugute, im Gegenteil.“

„Auch für große Konzerne mit riesigen Patentportfolien, zum Beispiel in der IT, in der E-Technik, in Kommunikationstechnologien und in der pharmazeutischen Industrie, sind Unsicherheiten unter dem EPG zu erwarten – unter anderem darüber, welche Rechtsbehelfe unter dem EPG möglich sind und wie diese durch die Wahl der lokalen Kammern durch nationale Erfahrungen beeinflusst werden“, sagt Dr. Arwed Burrichter, Patentanwalt und Partner von COHAUSZ & FLORACK.

Da Großbritannien noch an der Abfassung der EPG-Verfahrensordnung beteiligt war, ist diese ganz erheblich auch durch Common-Law-Aspekte geprägt. Diese sind den zugelassenen Vertretern beim EPG nun nicht mehr zugänglich, da, durch den Brexit bedingt, die britischen Kollegen nicht mehr zur Verfügung stehen. Für eine konsistente Rechtsanwendung fehlt es also an einer ganz wesentlichen Grundlage.

Wird Deutschland das EPG noch 2020 ratifizieren?

Nach der negativen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und dem Austritt des Vereinigten Königreichs Ende Januar 2020 war die Aussicht auf eine Ratifizierung des EPGÜ sehr fraglich und zeitlich nicht einschätzbar. Dennoch waren Patentverantwortliche und Rechtsanwälte insbesondere aus großen Konzerne durchaus optimistisch, dass eine Unterzeichnung des EPGÜ durch die Bundesregierung doch noch erfolgen würde, da das Bundesverfassungsgericht das EPG nicht materiell-rechtlich abgelehnt hat. Doch gilt es zunächst, den Vertrag an den Ausstieg von Großbritannien anzupassen und den Sitz der für London ursprünglich vorgesehenen Zentralkammern neu zu verhandeln. Auch die Neugestaltung der Gebühren wird als zusätzliche Herausforderung gesehen.

Nun hat das Bundesministerium der Justiz einen neuen Gesetzesentwurf zur EPG-Gesetzgebung vorgelegt. Es will an der Durchsetzung des Gesetzes ohne Änderungen festhalten. Die Gesetzesvorlage wurde an Verbände und Institutionen mit der Bitte um Stellungnahme geschickt. Die Frist endet am 3. Juli 2020, sodass sich die Dinge schnell bewegen könnten. Für das Ministerium existieren derzeit außer der fehlenden Zwei-Drittel Mehrheit keine weiteren rechtlichen Probleme. Auch wenn im EPGÜ die Ratifizierung durch Großbritannien, Frankreich und Deutschland eine zwingende Voraussetzung ist, sieht das Justizministerium darin kein Hindernis und setzt diese Frage aus. Im Referentenentwurf heißt es vielmehr: „Unabhängig davon, dass die britische Zustimmung derzeit vorliegt, hat ein Ausscheiden von Großbritannien auf die Anwendbarkeit der Regelungen zum Inkrafttreten jedenfalls deshalb keinen Einfluss, weil diese so auszulegen sind, dass ein von niemandem vorhersehbares Ausscheiden einer dieser drei Staaten das gesamte Inkrafttreten für die verbleibenden Beteiligten nicht hindert.“ 

Ausblick

Zu der Frage, ob Deutschland aufgrund des Brexit das EPGÜ in seiner derzeitigen Form ratifizieren kann, ist bei der Europäischen Kommission eine parlamentarische Anfrage anhängig. Diese beinhaltet auch konkret die Frage, ob die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten wird, falls es das EPG-Abkommen in seiner derzeitigen Fassung ratifiziert.

Zahlreiche kritische Stimmen halten auch eine weitere Verfassungsbeschwerde für möglich. Bereits die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deutet auf materiell-rechtliche Probleme im EPGÜ hin. So wirft das BVerfG die Frage auf, ob die Errichtung des EPG auf völkerrechtlicher Grundlage die Vorgabe des Art. 262 AEUV unterläuft. Eine Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über europäische Schutzrechte auf den neuen Gerichtshof erfordert einen einstimmigen Ratsbeschluss und eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten. Beides ist nicht gegeben (Randnotiz 145 der Entscheidung). Auch wirft das BVerfG die Frage auf, ob der Vorrang des Unionsrechts in Art. 20 EPGÜ überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Antwort darauf lässt das BVerfG offen (Randnotiz 166 der Entscheidung). Im letzten Fall dürfte Deutschland das EPGÜ überhaupt nicht ratifizieren und das BVerfG könnte ein weiteres Mal die Ratifikation scheitern lassen.  Von einer abschließenden Entscheidung dieser Fragen sieht das Bundesverfassungsgericht nur ab, weil sich die Nichtigkeit des EPGÜ bereits aus den oben genannten anderen Gründen ergibt.

Sollten sich diese materiell-rechtlichen Probleme ganz oder teilweise bestätigen oder sollte sich die Kommission kritisch zu der parlamentarischen Anfrage äußern, ist eine weitere Verzögerung der Umsetzung des Abkommens zu erwarten. „Man darf sogar bezweifeln, dass angesichts der notwendigen Neuverhandlungen des Abkommens das EPGÜ in absehbarer Zeit in Kraft tritt“, so Philipe Walter, Patentanwalt und Partner von COHAUSZ & FLORACK.

Schließlich stellt sich die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber gut daran tut, die erheblichen Abweichungen, die zwischen dem Gesetzestext und der Nach-Brexit-Realität entstanden sind – insbesondere den Sitz einer Abteilung der Zentralkammer des Gerichts in London –, zu ignorieren und diese Abteilung, wie in der Gesetzesbegründung vorgeschlagen, auf Paris und/oder München zu übertragen. Dies scheint nach Einschätzung von COHAUSZ & FLORACK mit dem europäischen Gedanken nicht ohne weiteres zu vereinen.

Der vorliegende Referentenentwurf wird in den nächsten Wochen und Monaten diskutiert. Es bleibt spannend, wie es weitergeht und zu welchem Ergebnis etwaige Neuverhandlungen oder Ratifizierungsversuche führen. Gerade in einem zweiten Anlauf sollte aus Sicht von COHAUSZ & FLORACK ein Ansatz verfolgt werden, der ein erneutes Scheitern beim Bundesverfassungsgericht zumindest weitgehend ausschließt.

 

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