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  • Mathias Karlhuber

Inkrementelle Innovationen

Stete Verbesserungen als Grundlage für Disruptionen

Innovationen sind ein Wachstumstreiber – und notwendig für die Lösung globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Ernährungssicherheit und Gesundheitsfürsorge. Das neueste ICC Research Paper beschäftigt sich mit inkrementeller Innovation, der schrittweisen Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen. Über die Vorteile und die Bedeutung von Schutzrechten in diesem Segment spricht Mathias Karlhuber, Partner bei Cohausz & Florack und Patentberichterstatter der IP-Kommission der ICC, im Interview.

ICC Germany: Inkrementelle Innovationen: Das klingt in Zeiten, in denen viel von disruptiven Technologien die Rede ist, eher nach Abstellgleis als nach Überholspur …

Karlhuber: Der Eindruck täuscht. Radikale Innovationen finden in den meisten Fällen ihren Weg in unser tägliches Leben nur auf Basis von vielen kleinen Schritten. Umgekehrt kann auch die innovative Kombination bekannter Technologien zu radikalen Veränderungen in unserem Leben führen. Ein anschauliches Beispiel ist der iMac von Apple: Die Technologien, die bei seiner Markteinführung 1998 zum Einsatz kamen, waren fast allesamt Industriestandards – zum Beispiel der USB-, Ethernet- und Modem-Anschluss. Dennoch war das Gerät eine echte Innovation, weil es diese Technologien geschickt mitei-nander kombiniert und schrittweise verbessert hat. Das hat, wie wir wissen, zu großen Veränderungen in dem Markt für PCs geführt.

ICC Germany: Welche konkreten Vorteile können inkrementelle Innovationen für die Wirtschaft und für den Verbraucher haben?

Karlhuber: Inkrementelle Innovationen sind für Unternehmen und für die Gesamtwirtschaft von großer Bedeutung. Sie bringen oft den entscheidenden Fortschritt hin zur Marktreife. So können sie zum Beispiel zu mehr Kosteneffizienz führen. Nehmen Sie die Windkraft! In den letzten Jahrzehnten wurden die Bauteile von Windrädern immer weiter optimiert. Das Ergebnis ist heute eine deutlich höhere Effizienz: So ist seit den frühen 80er Jahren der Preis für Windenergieanlagen pro Watt von 3,5 auf 1,9 US-Dollar gesunken, die Turbinenkapazität aber um mehr als das Zwanzigfache gestiegen. Mehr Kos-teneffizienz für die Hersteller kann selbstverständlich auch dazu führen, dass die Preise für die Verbraucher sinken. Und: Auf die Benutzerfreundlichkeit, die Zuverlässigkeit – ja, auf die gesamte Qualität von Produkten und Dienstleistungen können schrittweise Verbesserungen erhebliche Auswirkungen haben. Die Pharmabranche ist hierfür ein gutes Beispiel: Bei neuen bahnbrechenden Medikamenten ist meist noch viel Forschungsaufwand nötig, damit Patienten und letztlich unser gesamtes Gesundheitssystem davon profitieren.

ICC Germany: Welchen Beitrag leistet das Patentsystem für die Förderung inkrementeller Innovationen?

Karlhuber: Das Patentsystem schafft wichtige Anreize für Unternehmen, ihre Produkte stetig weiterzuentwickeln, innovativ zu sein. Schutzrechtsinhaber können durch Patente verhindern, dass Dritte ihre Entwicklungen nutzen, verkaufen oder zum Weiterverkauf anbieten. Die hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung können so durch Schutzrechte abgesichert und gegebenenfalls sogar durch Lizenzeinnahmen kompensiert werden. Patente sind damit Monopole auf Zeit – und für die innovative Wirtschaft von unschätzbarem Wert. Von diesem System profitieren auch Akteure in Schwellenländern – und kleine und mittlere Unternehmen ebenso wie Konzerne. Über das Potenzial von Schutzrechten sind sich viele von ihnen heute im Klaren. Sie wissen, dass gerade kleine Änderungen ein Produkt oder eine Dienstleistung oft erst attraktiv machen. Bisweilen sind die Schutzrechtslage im Markt und die damit verbundenen Risiken recht unüberschaubar. Um hier die richtigen Fäden zu ziehen, ist eine klare Patentstrategie erforderlich.  

ICC Germany: Welche Aufgaben und Ziele verfolgt die ICC mit Publikationen wie der jüngsten zum Thema inkrementelle Innovationen?

Karlhuber: Das Verständnis von Innovationsprozessen ist nicht nur für die Wirtschaft von Bedeutung. Es ist auch wesentlich für die politischen Entscheider, die die rechtlichen Rahmenbedingungen setzen und  jedes Jahr Milliarden in die öffentliche Forschungsförderung investieren. Während die Politik also die Leitlinien setzt und die Wissenschaft die Prozesse evaluiert, ist die Wirtschaft mit der praktischen Umsetzung beschäftigt. Die vorliegende ICC-Publikation stellt für all diese Gruppen mit Praxisbeispielen kompakt und anschaulich dar, wie sich Innovation in unterschiedlichen Sektoren vollzieht und welche be-deutende Rolle inkrementelle Innovationen hierbei spielen. In früheren Publikationen haben wir uns unter ähnlicher Zielset-zung unter anderem mit dem Thema „Open Innovation“, der Rolle von Geschäftsgeheimnissen und globalen Technologie- und Know-how-Flüssen beschäftigt.

Dieser Beitrag erschien erstmalig im ICC Germany-Magazin, Ausgabe 8

Bild: Eti Ammos - Adobe Stock