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Erlebnisbericht

Hagen 1 – Erlebnisbericht eines Kandidaten

Es ist ein früher Januarmorgen. Nach einem stürmischen Neujahrstag kriecht langsam die Winterkälte heran, auch in dieses abgelegene Hotel am Rande von Hagen. Die volle Konzentration des Wochenend-Repetitoriums hat sich inzwischen in Anspannung gewandelt. Nervosität macht sich in unserer Runde breit. Nur noch schnell etwas frühstücken, denn uns stehen vier volle Stunden Zivilrechtsklausur bevor: Hagen I.

Ein Jahr lang haben wir nun verschiedene Gebiete des allgemeinen Zivilrechts kennengelernt und dazu Aufgaben gelöst. Angefangen beim Bürgerlichen Gesetzbuch über das Handelsgesetzbuch bis hin zum Gesellschafts- und Arbeitsrecht. Das alles könnte nun gefragt werden. Wie kommt ein Vertrag zustande? Kann Mr. X die Kronjuwelen behalten, weil er sie gutgläubig von Prinz C. kaufte, obwohl der sie von seiner Mutter nur geliehen hatte? Kann die A. & O. OHG die Fischlieferung der Verleihnix GmbH beanstanden, obwohl der Gesellschafter O. mit der Prüfung der Frische bis zum nächsten Morgen wartete? Muss der A. dem freien Musiker T. Schadenersatz für das Instrument zahlen, dass sein Angestellter H. zertreten hat? Werden Zinsen fällig? Dies und vieles mehr geht einem nach der intensiven Vorbereitung der letzten Wochen durch den Kopf. Mit Patent- oder Markenrecht, unserem eigentlichen Rechtsgebiet, hat das nur am Rande etwas zu tun.

Der Dezember und die Weihnachtstage waren dem Lernen gewidmet. Noch kann uns schlicht alles erwarten, aber der Uhr nach wissen wir in einer viertel Stunde mehr. Inzwischen sind auch fast alle da. Patentanwaltskandidaten aus ganz Deutschland wollen hier gleich die Klausur schreiben. Aus Düsseldorf hatten wir es nicht so weit, aber viele sind von weiter weg angereist, aus München, Berlin oder Hamburg, beispielsweise. Eine ganz schöne Odyssee muss das gewesen sein, denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man schon kaum bis hierhin und der nächste Bahnhof ist 5 km entfernt.

Nun begeben wir uns auf unsere Plätze. Jeder Platz in dem Klausurraum scheint besetzt, obwohl es gestern hier noch nicht ganz so voll war. Einige schreiben die Klausur zum zweiten Mal, weil es beim ersten Mal nicht geklappt hat und sind deshalb nur für den Klausurtag angereist. Die Spannung steigt. Die Beleuchtung ist schlecht, die hat seit gestern wohl doch keiner klausurtauglich gemacht. Wir hoffen daher auf Sonne.
Irgendwer scheint einen tropfenden Wasserhahn installiert zu haben, dessen konstantes Tröpfeln uns nun vier Stunden begleiten wird. Plopp, plopp, plopp. Die Aufsicht erklärt, dass wir die Lösungen handschriftlich auf die ausgeteilten Bögen schreiben sollen. Name aufs Titelblatt und wie war noch mal meine Matrikelnummer? Ach ja. Plopp, plopp, plopp. Wird das Tröpfeln lauter oder meine ich das nur, weil es so leise im Raum geworden ist? Die Aufgabenblätter werden verteilt. Gleich geht es los.

Heute Abend nach der Nachmittagsvorlesung werden wir uns sicher noch alle zusammensetzen und versuchen, nicht über die Klausur zu sprechen. Den Rest der Woche haben wir dann noch Vorlesungen für das zweite Hagen-Jahr: Wettbewerbsrecht, Zivilprozessrecht, Europarecht. Das kommt dem Patent- und Markenrecht dann doch etwas näher. Da ist mein Aufgabenblatt, mit der weißen Seite nach oben liegend. Vor mir liegt eine Gesetzessammlung. Der dicke rote Schönfelder und BGB, HGB und Gesellschaftsrecht noch mal als Einzelbände. Mehrere Stifte zum Schreiben, Markieren und Skizzieren, Wasser und Nervennahrung. Das muss für die Klausur reichen. Die Luft wird jetzt schon stickig. Plopp, plopp, plopp. Die Aufsicht sagt, wir dürfen loslegen. Mal sehen, was kommt. Plopp, plopp, plopp.
Ich drehe das Blatt um.