Um dies beantworten zu können, ist es unerlässlich, sich der Sache zunächst grundsätzlich zu nähern.
Welche Wirkungen hat ein Patent?
Unter anderem kann der Inhaber eines Patents jedem beliebigen Dritten die Benutzung der patentgeschützten Erfindung verbieten. Damit soll der Inhaber dafür belohnt werden, dass er Zeit und Geld in die Entwicklung der Erfindung gesteckt hat. Dieser Unterlassungsanspruch ist im Wettbewerb ein scharfes Schwert, da er für den Patentinhaber ein Monopol an der Nutzung der Erfindung schafft. Es bleibt dem Wettbewerb nur der Verzicht auf die Erfindung oder die Nutzung einer – bei einem guten Patent – technisch oder kostenmäßig nachteiligen Lösung. Damit stellt ein Patent ganz offensichtlich einen Widerspruch zum Kartell- und Wettbewerbsrecht dar, in dem Monopole unerwünscht sind. Dieser Widerspruch ist bekannt und gewollt, da Innovationen gerade in entwickelten Volkswirtschaften ebenso eine Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft bilden, wie dies auch für einen weitgehend freien Wettbewerb zwischen den Unternehmen gilt. Das Monopol, welches dem Inhaber des Patents zur Verfügung steht, gilt 20 Jahre und der Inhaber muss fortlaufende Gebühren entrichten. Das Patent wird von den Patentämtern vor seiner Erteilung sorgfältig geprüft und seine Gültigkeit kann von jedem beliebigen Dritten, z.B. beim Bundespatentgericht, jederzeit angegriffen werden. Die Verletzung des Patents wird in Deutschland durch spezialisierte Gerichte geprüft. Hierdurch werden der Ausübung des Patents nachvollziehbare Schranken gesetzt.
Was ist ein standardessentielles Patent (SEP)?
In einer Vielzahl von Technikfeldern werden heute Standards gesetzt, um die Marktfähigkeit der entsprechenden Produkte zu verbessern. Ein Beispiel sind Technologien zur Verarbeitung von Videodaten. Jeder möchte auf seinem Smartphone oder Fernsehgerät die im Internet zur Verfügung gestellten oder von Fernsehanstalten übermittelten Videodaten abspielen können. Ohne eine vereinheitlichte Technik wäre dies nur mit Einschränkungen möglich. Es sei hier erinnert an analoge Fernsehzeiten, in denen mit PAL und SECAM zwei inkompatible Systeme zur Übertragung von Videodaten genutzt wurden. Die Entwicklung dieser und anderer Standards erfolgt im Allgemeinen getrieben durch Beiträge von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, um gemeinsam eine geeignete Technik zur Verfügung zu stellen. Die Setzung eines Standards erfolgt somit auf der Grundlage der Entwicklungen einzelner Beteiligter, die im Rahmen des Standardisierungsprozesses zusammengefügt werden. Sowohl die Entwicklungsarbeit als auch das Zusammenfügen der Entwicklungen erfordert dabei erhebliche Aufwendungen. Um diese Aufwendungen zu schützen, lassen sich die Beteiligten, wie bei eigenständigen Entwicklungen, die Ergebnisse ihrer standardrelevanten Entwicklungen durch Patente schützen. Werden dann im Rahmen der Standardisierung diese Ergebnisse in den Standard aufgenommen und hat derjenige sich diese Entwicklung als Patent schützen lassen, handelt es sich bei diesem um ein sogenanntes standardessentielles Patent (SEP), also ein Patent, welches zwangsläufig verwendet wird, wenn der Standard zur Anwendung kommt.
Was bedeutet FRAND?
Aus den beschriebenen Eigenschaften eines SEPs folgt unmittelbar, dass unter den Beteiligten an einem Standardisierungsverfahren ein Einigungsbedarf hinsichtlich der späteren Nutzung der SEPs im Falle der gewerblichen Nutzung des Standards besteht. Die übliche Verabredung hierzu besteht darin, dass man sich gegenseitig und gegenüber Dritten im Vorfeld des Standardisierungsvorhabens Nutzungsrechte einräumt und zwar zu noch nicht im Einzelnen definierten Bedingungen die Fair, Reasonable And Non-Discriminatory (FRAND) sein sollen. Die Definition dieser FRAND-Bedingungen bleibt einem späteren Verhandlungsprozess vorbehalten, da die wirtschaftlichen Randbedingungen im Vorfeld nicht hinreichend absehbar sind.
Wie werden FRAND-Bedingungen ermittelt?
Die Ermittlung von FRAND-Bedingungen erfolgt im einfachsten Fall durch Zusammenschluss möglichst aller Patentinhaber, die sich einigen auf Gebühren für die Nutzung der Patente im Rahmen der Verwirklichung des Standards und eine Verteilung der Gebühren an die Patentinhaber. Ziel ist es dabei, möglichst sämtliche Nutzer des Standards zu einheitlichen Bedingungen zu lizensieren. Dies ist z.B. für Standards im Bereich der Videokompression wiederholt gelungen. Gibt es eine solche Einigung nicht, verhandeln die Patentinhaber einzeln oder in kleineren Gruppen über die Bedingungen für die Nutzung der SEPs mit einzelnen Nutzern oder Gruppen von Nutzern. Dabei lassen sich einheitliche Bedingungen sehr viel schwerer herstellen und sämtliche Nutzer des Standards zu erreichen, gestaltet sich deutlich schwieriger. Diese Situation ist die vorherrschende z.B. im Bereich der Kommunikationstechnik im Mobilfunk.
Womit befasst sich das EuGH-Urteil Huawei vs. ZTE?
In der Auseinandersetzung zwischen den Parteien vor dem Gerichtshof der Europäischen Union ging es um die Ermittlung von FRAND-Bedingungen für die Nutzung eines SEPs des Unternehmens Huawei im Bereich des Mobilfunks durch das Unternehmen ZTE. Die Entscheidung setzt die Benutzung des Patents voraus. Der EuGH führt aus, dass es in dem Fall, in dem ein Patent dem Patentinhaber eine marktbeherrschende Stellung verleiht, unter Umständen ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellen kann, wenn der Patentinhaber seinen Unterlassungsanspruch durchsetzt. Mit anderen Worten beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, unter welchen Umständen das Wettbewerbsrecht den Wirkungen des Patentes zusätzliche Schranken setzt. Eine sehr ähnliche Fragestellung war auch Grundlage der Entscheidung Orange-Book des Bundesgerichtshofs im Jahr 2009. Im Ergebnis schreibt der EuGH den Parteien eine Vorgehensweise zur Ermittlung von FRAND-Bedingungen vor. Hält sich der Nutzer des Patents nicht an diese Bedingungen, kann der Inhaber des Patents seinen Unterlassungsanspruch gegen den Nutzer uneingeschränkt durchsetzen. Hält sich der Inhaber des Patents nicht an diese Bedingungen, kann der Nutzer des Patents den Unterlassungsanspruch abwehren.
Die Bedingungen lauten kurzgefasst:
- der Patentinhaber muss ein Angebot unterbreiten
- der Nutzer kann dies unter Abgabe eines Gegenangebots ablehnen
- lehnt der Patentinhaber das Gegenangebot ab, hat der Nutzer auf der Grundlage des Gegenangebotes für eine erfolgte Nutzung Sicherheit zu leisten
All dies muss ohne Verzögerungstaktik geschehen und die Angebote müssen FRAND sein.
Tendenzen
Das LG Düsseldorf hat sich in dem Verfahren France Brevets vs. HTC mit der Frage beschäftigt, ob es für die Anwendbarkeit der Huawei vs. ZTE Entscheidung ausreicht, dass es sich bei einem Patent um ein SEP handelt. Wie der EuGH ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass es für die Frage der Einschränkung des Unterlassungsanspruchs auf die marktbeherrschende Stellung ankommt, die das Patent seinem Inhaber verleiht. Im konkreten Fall ging es um den Einsatz eines standardisierten Verfahrens zur Kommunikation über sehr kurze Entfernungen in Mobiltelefonen, welches sich im Markt nicht derart durchgesetzt hat, dass von einer Marktbeherrschung gesprochen werden konnte. Das OLG Düsseldorf hat in einem Verfahren Sisvel vs. Haier entschieden, unter welchen Umständen von einer Mehrzahl von abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen dem Patentinhaber und Nutzern des Patents FRAND-Bedingungen für weitere Nutzer abgeleitet werden können. In neueren Veröffentlichungen wird herausgestellt, dass der EuGH in Huawei vs. ZTE ausdrücklich darauf abgestellt hat, dass die aufgestellten Bedingungen dann gelten, wenn der Patentinhaber noch kein Angebot in einer für den Nutzer zugänglichen Weise vorgelegt hat. Als Beispiel für ein Angebot wird ein für jeden verfügbarer Lizenzvertragsentwurf genannt. Liegt ein solcher vor, unterscheidet sich die Entscheidung Huawei vs. ZTE nur unwesentlich von der Entscheidung Orange-Book. Im UK hat sich der High Court London in der Entscheidung Unwired Planet vs. Huawei mit der betriebswirtschaftlichen Ermittlung von FRAND-Bedingungen befasst. Diese Entscheidung ist zunächst begrüßt und später deutlich kritisiert worden.
Ausblick
Gerichte können eine mangelnde Einigung von Inhaber und Nutzer des Patents darüber, was FRAND-Bedingungen sind, nicht ersetzen. Daran wird auch die Entscheidung Huawei vs. ZTE nichts ändern. Es ist an den Patentinhabern, sich im Vorfeld einer breiten Nutzung eines technischen Standards um eine breite Akzeptanz von Nutzungsbedingungen zu kümmern. Ist diese gegeben, werden sich verständige Nutzer nicht verschließen und nicht so verständige Nutzer letzteren irgendwann folgen. Bis dahin bleiben noch viele spannende Fragen offen.
Dieser Artikel erschien erstmalig im Juve Handbuch 2018/2019.
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